Beschreibung
Nach „Der Schatz im Silberblick“ (2010), „Die Schwarte Mamba“ (2011), “Herr Hasel & Fräulein Nuss” und “Dia-Abend” (2013) erscheinen nun mit “Im Würgegriff des Wanderfalken” endlich Gottis neueste Abenteuer.
Martin Gotti Gottschild, ein kopftuch- und bolerojäckchentragender Ex-Arbeitnehmer und bekennender Videotext-Konsument, berichtet aus seinem anmutig dahindümpelnden Leben. Den großen Sommerferien mit ohne Flummi und Büchsentelefon in Pankow, dem gruseligen Campingausflug mit Sauron, rollschuhfahrenden Indianern und seinem Zweitjob als Restfleischauszutzler in einer der größten Wurstzipfelwiederaufbereitungsanlagen Europas.
Im Würgegriff des Wanderfalken – 26 wonneproppige Kurzgeschichten mit korrekt interpretierten Flohmarkt-Dias gespickt.
Wer dieses Buch aufschlägt, schlägt seltener zu.
„Ich würde dieses Buch und seinen Autor gern adoptieren. Und seine Mutter.“ Marion Brasch
„Er meinte ich solle mir nur die Bilder ansehen, ich spiele ja in einer Band. Das tat ich, lachte herzhaft und fing dann trotzdem an, den Rest zu lesen. Stark!“ Torsten Scholz, Beatsteaks
“Ich habe ja wirklich schon viele Bücher gelesen. Dieses ist eins davon.” Sven van Thom
Erscheinungsdatum 04.11.16
200 Seiten
26 Geschichten
24 Farbabbildungen
ISBN 9783943045031
„Tschüüsss!“
Vergangenes Wochenende wurde mir wieder einmal bewusst, wie wichtig es ist, zur Verabschiedung nach sonntäglichen Familientreffen, korrekt zu winken. Da wird viel falsch gemacht. Winken ist eine uralte Form der Kommunikation. Erfunden wurde sie im Jahre 1143 von den Winkingern anlässlich eines epileptischen Anfalls ihres Anführers Huhu Hansen. Huhu Hansen war ein Pionier. Die Jahre zuvor hatten sich die Menschen zur Begrüßung Kiesel oder kleine Quitten an den Kopf geworfen, weil sie es nicht besser wussten.
Dann kam Huhu Hansen und winkte. Wenn auch unbeabsichtigt.
Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die neue Geste. Überall auf der Welt wollten es die Menschen Huhu Hansen gleichtun. Dabei wurden solch unvorstellbare Luftmassen in Bewegung gesetzt, dass die Thermik der Erde völlig außer Kontrolle geriet. Leichter Sprühregen war die Folge.
„Zieht Euch was über, denkt an Eure Nieren!“
Das Orakel hatte sie gewarnt, aber viele Menschen unterschätzten die Gefahr und starben erst Jahrzehnte später an purer Langeweile. Bei uns wird daher immer noch nach altem Rezept gewunken.
Es ist ganz einfach: Wenn einen die Eltern zur Haustür gebracht haben und man nach unzähligen Umarmungen, Wangenküsschen, Fontanellenschnipsern, Nasenknuffis, Leberhaken, Poklapsern und Feuchten Fuzzis endlich dabei ist, sich füßlings Richtung Auto zu bewegen, ist es unerlässlich, sich nach spätestens zehn Sekunden umzudrehen und seinen Erzeugern nochmal beherzt zu zuwinken.
Einfach so. Aus Liebe und Dankbarkeit für das Geschenk des Lebens.
In 80% der Fälle haben die Eltern die letzten zehn Sekunden ohnehin gewunken und stehen somit immer noch winkend da.
Eine sogenannte Wink-Wink-Situation.
Dennoch, jetzt nicht verharren und das Ziel aus den Augen verlieren. Weiterlaufen! Richtung Auto. Viele Menschen kriegen ja ein schlechtes Gewissen, wenn sie sich schnurstracks vorwärts bewegen, während ihnen ihre verzückten Erzeuger gnadenlos liebevoll in den Rücken winken. Von dieser Fessel der Natur muss man sich befreien. Irgendwann möchte man ja auch einfach mal nach Hause.
Das sollte man sich jedoch um Gottes Willen nicht anmerken lassen. Es sei denn, man will den ganzen schönen Nachmittag kaputt machen. Daher beim erneuten Umdrehen lächeln! Lächeln als ob heute der schönste Tag des ganzen bisherigen Lebens wäre und winken, als wolle man ein blindes Kind auf sich aufmerksam machen, das nach einer komplizierten Operation soeben sein Augenlicht wiedererlangt.
Am PKW angekommen, heißt es: Türen öffnen. Vor dem Einsteigen aber unbedingt den Eltern noch einmal besonders kräftig zu winken, damit diese auch sehen, dass man wohlbehalten am Fahrzeug angelangt ist.
Nach dem Einsteigen, kurz vor dem endgültigen Schließen der Türen, auf jeden Fall auch nochmal wie von Sinnen winken, um zu signalisieren, dass man unversehrt Platz genommen hat. Jetzt flott die Türen zu! Wenn man ein Kind hat, ist das der Augenblick, wo dieses sich ohne Umschweife auf der Rückbank wendet, damit es knielings aus dem Heckfenster winken kann.
Kurz nochmal hupen, Gaspedal durchtreten und ab geht die Lutzi!
Im Anfahren werden die Seitenfenster heruntergelassen, Fahrer und Beifahrer winken nun jeweils mit einer Hand, im besten Fall mit den Handflächen nach hinten, aus dem Auto. Das Kind winkt statisch durch die Heckscheibe.
So geht’s die nächsten 100 Meter. Die nächste Biegung ist noch in weiter Ferne und die Regel besagt ganz klar: So lange winken, bis man sich nicht mehr sieht.
Ein Blick in den Rückspiegel: Die Eltern werden immer kleiner.
Trotzdem, nicht aufhören, weiterwirken!
Vater verlässt die Szenerie, er muss noch was reparieren.
Mutter bleibt unbeirrt am Ball.
Nun ist es ratsam, die Hände reinzunehmen und das Kind zu wenden, um Mutter unmissverständlich klarzumachen, dass jetzt auch mal langsam Schluss ist.
Sie soll Vater folgen. Nicht, dass ihr noch was passiert.
Diese Maßnahme bringt jedoch oft nicht den gewünschten Erfolg. Die schrumpfende Mutti winkt einfach weiter. Das hält kein Mensch aus. Die kleine liebe Mutti!
Also schnell die Arme wieder raus und die Hände schlackern lassen, als gäbe es kein Morgen mehr.
Nur noch zehn Meter bis zur Kreuzung. Unbedingt weiterschlackern!
Nur noch fünf Meter. Das Kind in der Heckscheibe erhöht zum Finale noch einmal die Frequenz. Seine Bewegungen haben nichts menschliches mehr.
Dann endlich: der Wagen biegt ab und verschwindet hinter dem ersten Gebüsch.
Mutter ist nicht mehr zu sehen.
Völlig entkräftet lassen die Fahrzeuginsassen ihre Wink- werkzeuge sinken und atmen erschöpft durch: „Hui, na das war ja was. Gar keine Kondition mehr. Also beim nächsten Mal…“
Plötzlich! Eine Lücke im Gebüsch!!
Mutter!!!
Sie winkt immer noch!!!!
„Neeeeeiiiiiin!!!!!”
Weg isse! Die arme kleine Mutti.
Mein Gott, das haben wir nicht gewollt.
Was sind wir nur für schlechte, schlechte Gäste.